http://www.incadat.com/ ref.: HC/E/AT 566 [25/06/1992; Oberster Gerichtshof (Austria); Superior Appellate Court] 8Ob535/92, Oberster Gerichtshof, 25/06/1992

Kopf:

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspr�sidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden sowie die Hofr�te des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am ***** geborenen mj. L.G., infolge Revisionsrekurses des Vaters Dr. L.G., vertreten durch Dr.Schuppich, Dr.Sporn und Dr.Winischhofer, Rechtsanw�lte in Wien, gegen den Beschlu� des Landesgerichtes f�r ZRS Wien als Rekursgericht vom 15.J�nner 1992, GZ *, womit der Beschlu� des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 19.November 1991, GZ *, best�tigt wurde, folgenden

Begr�ndung:

Die Ehe der Eltern der nunmehr 12j�hrigen Minderj�hrigen wurde am 17.12.1987 in Nevada, USA, geschieden. Dem Vater und nunmehrigen Revisionsrekurswerber wurde "die haupts�chliche physische Obsorge" (dominant physikal custody) �bertragen. Die Mutter, der ein Besuchsrecht einger�umt wurde, hat ihre Tochter Anfang September 1988 zu Ende ihres zustehenden Sommerbesuchsrechtes nicht zur�ckgebracht, sondern an einen dem Vater unbekannten Ort verbracht; dann ist sie mit ihr aus den Vereinigten Staaten zun�chst nach Deutschland und von dort aus im Juni 1989 nach �sterreich gereist; hier wohnt sie seither mit ihr. Der Vater und das Kind sind Angeh�rige der Vereinigten Staaten von Amerika; auch die Mutter war dies, behauptet allerdings (dies blieb un�berpr�ft), es sei sei ihr �ber Betreiben des Vaters diese Staatsb�rgerschaft "aberkannt" worden.

In der Folge gelang es dem Vater, den Aufenthaltsort seiner Tochter in Erfahrung zu bringen. Mit dem beim Erstgericht am 7.10.1991 eingelangten Antrag begehrt er, gest�tzt auf das �bereinkommen �ber die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentf�hrung, BGBl 1988/512, ihre R�ckf�hrung in die USA.

Die Mutter beantragte die Abweisung des Antrages.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Es kam zu dem Ergebnis, da� sich das Kind in seiner nunmehrigen Umgebung eingew�hnt habe, soda� gem�� Art 12 Abs 2 des �bereinkommens die R�ckgabe abzulehnen sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge, weil es das oben zitierte �bereinkommen auf den vorliegenden Fall f�r nicht anwendbar hielt; den Rekurs an den Obersten Gerichtshof lie� es zur Kl�rung dieser Frage aber zu. Das Pflegschaftsverfahren sei bez�glich des von der Mutter angestrengten Verfahrens, ihr die Obsorge zu �bertragen, fortzusetzen.

Gegen diesen Beschlu� richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, seinen Antrag auf R�ckgabe seiner Tochter nach den Bestimmungen dieses �bereinkommens stattzugeben; hilfsweise begehrt er die Zur�ckweisung seines Antrages und die Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses.

Rechtssatz:

Der Rekurs ist zwar mangels oberstgerichtlicher Rechtsprechung zum zeitlichen Anwendungsbereich des zitierten �bereinkommens zul�ssig, aber nicht berechtigt.

Das �bereinkommen �ber die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentf�hrung, dessen Ziel ua ist, die sofortige R�ckgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zur�ckgehaltener Kinder sicherzustellen (Art 1 lit a), ist zwar in den USA knapp vor der widerrechtlichen Nichtr�ckgabe der Minderj�hrigen, n�mlich am 1.7.1988, in �sterreich aber knapp nach diesem Zeitpunkt, n�mlich am 1.10.1988 (BGBl 1988, 512) in Kraft getreten. Es ist daher fraglich, ob es auf den vorliegenden Fall Anwendung findet. Gem�� Art 35 Abs 1 findet das �bereinkommen zwischen den Vertragsstaaten - Voraussetzung ist also, da� das �bereinkommen bereits in beiden beteiligten Staaten in Kraft getreten ist - nur auf das widerrechtliche Verbringen oder Zur�ckhalten Anwendung, das sich nach seinem Inkrafttreten in diesen Staaten ereignet hat. Die (�sterreichischen) Erl�uterungen zur RV (485 BglNR 17. GP) geben �ber den zeitlichen Anwendungsbereich keinen Aufschlu�, wohl aber der diesen Erl�uterungen angeschlossene Erl�uternde Bericht von Elisa Perez-Vera (P 144 f). Nach diesem verwarf die mit der Ausarbeitung des �bereinkommens beauftragte Erstkommission (hiezu siehe P 1 bis 4 des Berichtes) nach Abw�gung und Er�rterung verschiedener Vorschl�ge zum zeitlichen Anwendungsbereich die vorerst in Aussicht genommene "gro�z�gige" L�sung, da� das �bereinkommen auf jede "Entf�hrung" unabh�ngig vom Zeitpunkt ihrer Vornahme Anwendung finden sollte, und entschied sich f�r die restriktivste L�sung: mit den Worten, das �bereinkommen solle zwischen den Vertragsstaaten "nur auf ein widerrechtliches Verbringen oder Zur�ckhalten" Anwendung finden, "das sich nach seinem Inkrafttreten in diesen Staaten ereignet hat", sollte dies zum Ausdruck kommen (vgl auch FN 59 ebendort, wonach selbst der m�ndliche Vorschlag der Berichterstatterin, das �bereinkommen auf Situationen zu erstrecken, die im Laufe des Jahres vor seinem Inkrafttreten entstanden sind, nicht angenommen wurde). Hiezu bemerkte die Berichterstatterin, da� diese L�sung die berechtigten Erwartungen der betroffenen Personen entt�uschen m�sse, die Vertragsstaaten aber nicht gehindert seien, dar�ber hinaus die Anwendung des �bereinkommens r�ckwirkend zu vereinbaren. Zu einer solchen Vereinbarung ist es zwischen den USA und �sterreich nicht gekommen.

Unter "Ereignis" sollte somit der Beginn des widerrechtlichen Zustandes verstanden werden, hier also der Zeitpunkt, in dem die Minderj�hrige dem sorgeberechtigten Vater h�tte zur�ckgegeben werden m�ssen (vgl P 108 des Erl�uternden Berichtes zu Art 12 f des �bereinkommens). Auf die Fortdauer des widerrechtlichen Zustandes sollte es nicht ankommen, weil andernfalls der erste - von der Kommission verworfene - Vorschlag h�tte angenommen werden m�ssen. Aus dem Argument des Revisionsrekurswerbers, es handle sich strafrechtlich um ein Dauerdelikt (� 195 Abs 1 und 2 StGB), ist somit nichts zu gewinnen. Ebenso ist es aus dem angef�hrten Grund (vgl P 108 des Erl�uternden Berichts zu Art 12) unerheblich, ob die Minderj�hrige sofort, nachdem sie widerrechtlich nicht zur�ckgegeben wurde, oder erst sp�ter ins Ausland verbracht wurde. Ma�geblich f�r die Anwendung des �bereinkommens soll "im Interesse einer klaren L�sung" (siehe P 145 des Erl�uternden Berichts) lediglich sein, wann der widerrechtliche Zustand begonnen hat. Dies war Anfang September 1988, also zu einem Zeitpunkt, in dem das �bereinkommen in �sterreich noch nicht galt.

Hieraus folgt, da� die angefochtene Entscheidung voll zu best�tigen ist. Auch dem Eventualantrag auf Zur�ckweisung des Antrages und Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses ist nicht Folge zu geben; das Rekursgericht hat - wenn auch aus anderen Gr�nden als das Erstgericht - den Antrag auf R�ckf�hrung des Kindes abgewiesen; die Nichtanwendbarkeit des zitierten �bereinkommens auf den vorliegenden Fall f�hrt nicht zur formalen Zur�ckweisung eines solchen Antrages, sondern hindert lediglich, da� ihm stattgegeben werde, ohne da� das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art 12 und 13 zu pr�fen w�re.


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