http://www.incadat.com/ ref.: HC/E/AT 565 [01/09/1992; Oberster Gerichtshof (Austria); Superior Appellate Court] 4Ob538/92, Oberster Gerichtshof, 01/09/1992

Kopf:

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspr�sidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofr�te des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Beau J.L.L., infolge au�erordentlichen Revisionsrekurses des ehelichen Vaters J.L., vertreten durch Dr.Erich Roppatsch, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, gegen den Beschlu� des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 29.Juni 1992, GZ *, womit der Beschlu� des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 25.Mai 1992, GZ *, best�tigt wurde, in nicht�ffentlicher Sitzung den

Begr�ndung:

Der am 21.3.1990 geborene Minderj�hrige ist das eheliche Kind der �sterreichischen Staatsangeh�rigen P.L. und des amerikanischen Staatsangeh�rigen J.L.L. Zuletzt wohnte die Familie gemeinsam***** in Kalifornien. Die Ehe ist aufrecht. Am 3.10.1991 reiste die Mutter im Einverst�ndnis mit ihrem Ehemann mit dem Kind nach �sterreich, um ihre Eltern und Gro�eltern zu besuchen. Sie kehrte jedoch nicht, wie vereinbart, am 17.2.1992 nach Amerika zur�ck, sondern blieb mit dem Kind im Haus ihrer Gro�eltern in S*****, wo sich beide nach wie vor aufhalten. Am 14.3.1992 stellte der Vater unter Berufung auf das �bereinkommen vom 25.10.1980 BGBl 1988/512 �ber die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentf�hrung den Antrag auf R�ckgabe des Kindes. Er habe das Recht der Obsorge und w�nsche, dieses Recht auszu�ben (S. 15).

Die Mutter sprach sich gegen diesen Antrag aus, weil die R�ckgabe des Kindes mit der schwerwiegenden Gefahr eines k�rperlichen oder seelischen Schadens f�r das Kind verbunden sei.

Der Erstrichter wies den Antrag des Vaters ab. Er stellte zus�tzlich zu dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt noch fest:

Von Anfang an waren beide Elternteile berufst�tig; der Vater k�mmerte sich um das Kind nur wenig, Hauptbezugsperson war die Mutter. Sie nahm die verschiedenen bezahlten Babysitter auf, bei denen der Minderj�hrige untergebracht war, wenn die Eltern arbeiteten.

Seit der Geburt des Kindes unternahm die Mutter mehrmals mit Zustimmung des Vaters zusammen mit dem Kind mehrw�chige Besuche bei ihren Eltern und Gro�eltern in S*****. Seit sie an dem zuletzt vereinbarten R�ckkehrtag, dem 17.2.1992, nicht mehr in die USA zur�ckgekehrt ist, h�lt sie sich mit ihrem Kind in S***** auf. Sie hat die Absicht mit dem Kind hier zu bleiben, weil sie ihre Ehe f�r zerr�ttet h�lt. Sie wirft dem Ehemann seelische Grausamkeit gegen sie und das Kind sowie Desinteresse am Kind vor.

In der derzeitigen Umgebung ist das Wohl des Minderj�hrigen durch den Kontakt mit seiner Mutter innerhalb des Familienverbandes mit der Mutter und den Gro�eltern der Kindesmutter bestens gew�hrleistet, und zwar auch w�hrend der Zeit, in der die Mutter - halbt�gig � besch�ftigt ist.

Nach dem Verlassen der Ehewohnung durch die Mutter hat der Vater diese Wohnung anderweitig vermietet und selbst eine Wohnung in ***** M***** genommen.

Im Fall der R�ckgabe des Kindes w�rde er dieses in ein Tagesheim geben, weil er sich nicht selbst um das Kind k�mmern kann und seine Eltern in einem anderen Bundesstaat leben.

Das Kind ist seiner fr�heren Umgebung bereits v�llig entw�hnt; ein abermaliger Milieuwechsel durch R�ckkehr zum Vater, zu welchem das Kind niemals positive psychische Beziehungen hatte, w�rde eine ernsthafte Gef�hrdung des Kindes bedeuten.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, da� die Ablehnungsgr�nde des Art 13 des �bereinkommens BGBl 1988/512 streng auszulegen seien. Dennoch d�rfe keine willk�rliche Regelung getroffen werden; vielmehr sei unter dem Aspekt des Kindeswohls die Situation sorgf�ltig abzuw�gen und auszuleuchten. Hier sei das Kind nicht aus einer geordneten intakten famili�ren und sozialen Umgebung, an die es sich bereits im Rahmen einer positiven Entwicklung gew�hnt haben k�nnte, herausgerissen worden, so da� sich eine R�ckf�hrung in diese f�r das Kind negative Situation verbiete.

Das Rekursgericht best�tigte diesen Beschlu� und sprach aus, da� der ordentliche Revisionsrekurs nicht zul�ssig sei. Es �bernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als das Ergebnis eines m�ngelfreien Verfahrens und einer unbedenklichen Beweisw�rdigung und stellte erg�nzend fest, da� bei einer R�ckgabe des Kindes an seinen Vater neurotische St�rungen zu erwarten seien, deren St�rke und Verlauf mangels n�herer Kenntnis der beim Vater herrschenden Verh�ltnisse nicht abgesch�tzt werden k�nne. Ein baldiges Abklingen dieser neurotischen St�rungen k�nne nur dann erwartet werden, wenn die st�ndige Betreuung des Kindes durch zwei stabile Bezugspersonen beim Vater gew�hrleistet sei. Da nach �� 197 und 7004 des Kalifornischen Gesetzbuches das Recht der Obsorge f�r das Kind beiden Eltern gemeinsam zustehe, sei der Vater zu einem R�ckgabeantrag auf Grund des �bereinkommens BGBl 1988/512 legitimiert. Da� auch der Mutter, die das Kind vereinbarungswidrig in �sterreich zur�ckhalte, das Sorgerecht gemeinsam mit dem Vater zustehe, sei kein Hindernis f�r das Einschreiten der Gerichte im Sinne des genannten �bereinkommens.

Die sofortige R�ckf�hrung des Kindes k�nne daher nur unter den Voraussetzungen der Art 12 Abs 2, Art 13 oder allenfalls 20 des �bereinkommens abgelehnt werden. Die Mutter habe sich nur auf den Tatbestand des Art 13 Abs 1 lit b des �bereinkommens gest�tzt. Dabei sei ihr der Nachweis der schwerwiegenden Gefahr eines seelischen Schadens des Kindes im Fall seiner R�ckgabe gelungen, stehe doch fest, da� die Trennung des Kindes von seiner Mutter, das Herausrei�en aus der nunmehr bereits gewohnten Umgebung und die R�ckgabe an den Vater zu neurotischen St�rungen des Kindes f�hren w�rde, mit deren baldigem Abklingen mangels geeigneter Bezugspersonen in den USA nicht gerechnet werden k�nne.

Gegen diesen Beschlu� wendet sich der au�erordentliche Revisionsrekurs des Vaters wegen unrichtiger Tatsachenfeststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzu�ndern, da� seinem Antrag stattgegeben werde; hilfsweise wird beantragt, der Mutter aufzutragen, den Minderj�hrigen unverz�glich, sp�testens jedoch binnen vier Wochen nach Rechtskraft, an den vormaligen Ort des gew�hnlichen Aufenthaltes zur�ckzuf�hren oder zur�ckf�hren zu lassen.

Der au�erordentliche Revisionsrekurs ist zul�ssig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt; er ist aber nicht berechtigt.

Rechtssatz

Soweit der Vater die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen bek�mpft, ist er darauf zu verweisen, da� der Oberste Gerichtshof auch im Au�erstreitverfahren nur Rechts-, nicht aber auch Tatsacheninstanz ist (EFSlg 61.397 uva; Petrasch, Der Weg zum Obersten Gerichtshof nach der Erweiterten Wertgrenzennovelle 1989, �JZ 1989, 743 ff [753]). � 15 Au�StrG idF der WGN 1989 - welcher die Revisionsrekursgr�nde ersch�pfend aufz�hlt - sieht ebenso wie � 503 ZPO den Rechtsmittelgrund der unrichtigen Beweisw�rdigung und unrichtigen Tatsachenfeststellungen nicht vor.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens (� 15 Z 2 Au�StrG) liegt nicht vor (� 16 Abs 3 Au�StrG; � 510 Abs 3 ZPO).

Nach der Meinung des Vaters sei der Tatbestand des Art 13 Abs 1 lit b des �bereinkommens BGBl 1988/512 zu Unrecht bejaht worden. Sinn und Zweck des �bereinkommens sei die Wiederherstellung des fr�heren Zustandes, nicht aber eine Regelung �ber die Obsorge. Wenn die Mutter, wie sie selbst behaupte, eine so enge Bindung an das Kind habe, werde sie das Kind bei der R�ckf�hrung begleiten. Sollte sie sich weigern und so das Kind der schwerwiegenden Gefahr eines k�rperlichen oder seelischen Schadens aussetzen, dann l�ge die Annahme nahe, da� sie ihr eigenes Wohl �ber dasjenige ihres Kindes stelle. Ob f�r den Minderj�hrigen eine solche Gefahr besteht, h�nge daher einzig und allein vom Verhalten der Mutter ab. Das gen�ge aber nicht, um eine R�ckf�hrung aus dem Grund des Art 13 Abs 1 lit b des �bereinkommens abzulehnen. Mittlerweile habe das zust�ndige amerikanische Gericht eine Entscheidung getroffen, mit der sichergestellt werde, da� nach der R�ckgabe des Minderj�hrigen nach Kalifornien die Mutter die vorl�ufige alleinige gesetzliche und physische Sorge f�r das Kind erhalte, da� grunds�tzlich keine Kontakte zwischen Vater und Kind stattfinden d�rften, da� sich der Vater in einer bestimmten Entfernung von der Mutter und dem Kind und deren Aufenthaltsorten halten m�sse, sowie da� er der Mutter und dem Kind einen angemessenen Aufenthaltsort in Kalifornien zur Verf�gung zu stellen habe, einen angemessenen Unterhalt in noch festzusetzender H�he zahlen m�sse und auch die angemessenen Reisekosten f�r die Mutter und das Kind nach San Francisco zu zahlen habe.

Zu diesen Ausf�hrungen war zu erw�gen:

Nach Art 1 des mehrfach genannten �bereinkommens ist es dessen Ziel, ua die sofortige R�ckgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zur�ckgehaltener Kinder sicherzustellen. Als widerrechtlich gilt gem�� Art 3 sowohl das Verbringen als auch das Zur�ckhalten eines Kindes, wenn a) dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das (ua) einer Person allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zur�ckhalten seinen gew�hnlichen Aufenthalt hatte, und b) dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zur�ckhaltens allein oder gemeinsam tats�chlich ausge�bt wurde oder ausge�bt worden w�re, falls das Verbringen oder Zur�ckhalten nicht stattgefunden h�tte.

Da� diese Voraussetzungen hier im Hinblick darauf vorliegen, da� nach kalifornischem Recht dem Vater gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht an dem Kinde zusteht, vorliegen, haben die Vorinstanzen mit Recht bejaht. Auch trifft es zu, da� die USA, in denen das Kind seinen gew�hnlichen Aufenthalt gehabt hatte (Art 4 des �bereinkommens), ein Vertragsstaat ist (EB 485 BlgNR 17. GP 30). Das �bereinkommen betrifft gerade auch den Fall, da� das Kind nach einem Auslandsaufenthalt, dem die das Sorgerecht (mit-)aus�bende Person zugestimmt hatte, nicht mehr in seine bisherige Umwelt zur�ckgebracht wird (Erl�uternder Bericht von Eliza Perez-Vera in EB aaO 37; JBl 1989, 389).

Richtig erkennt der Rechtsmittelwerber, da� es das erkl�rte Ziel des �bereinkommens ist, die internationale Zusammenarbeit bei Kindesentf�hrungen zu verst�rken, um das gest�rte Sorgeverh�ltnis so rasch wie m�glich wieder herzustellen (EB aaO 30). Es soll verhindert werden, da� jemand mehr oder weniger k�nstliche internationale Zust�ndigkeitsverbindungen schafft, um auf diesem Weg das anzuwendende Recht zu verf�lschen und eine f�r ihn g�nstige gerichtliche Entscheidung zu erlangen (EB 37); aus diesem Grund hat demnach der Wunsch den Vorrang erhalten, die Wiederherstellung der durch den Entf�hrer verf�lschten Situation zu garantieren (EB 38).

Bei der Schaffung des �bereinkommens war man sich aber auch bewu�t, da� das Verbringen eines Kindes gelegentlich aus objektiven Gr�nden gerechtfertigt sein kann, die entweder seine Person oder seine n�chste Umgebung ber�hren; das �bereinkommen l��t daher bestimmte Ausnahmen von der allgemeinen Verpflichtung der Staaten zu, die sofortige R�ckgabe der widerrechtlich verbrachten oder zur�ckgehaltenen Kinder sicherzustellen (EB 39).

Eine der Ausnahmen ist in Art 13 Abs 1 lit b des �bereinkommens enthalten. Danach ist die zust�ndige Beh�rde - ungeachtet der grunds�tzlichen Verpflichtung zur sofortigen R�ckgabe des Kindes (Art 12 Abs 1 des �bereinkommens) - dann nicht verpflichtet, die R�ckgabe des Kindes anzuordnen, wenn (ua) die Person, die sich der R�ckgabe des Kindes widersetzt, nachweist, da� die R�ckgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines k�rperlichen oder seelischen Schadens f�r das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt.

Nach den - f�r den Obersten Gerichtshof bindenden � Feststellungen der Vorinstanzen w�re die �berstellung des Kindes aus der jetzigen Umgebung - der Obhut seiner Mutter, seiner Gro�mutter und der m�tterlichen Urgro�eltern - zu seinem Vater mit der Gefahr neurotischer St�rungen verbunden.

Soweit der Vater demgegen�ber meint, da� ja der fr�here Zustand wiederhergestellt werden m�sse und bei einer R�ckkehr des Kindes mit seiner Mutter keine Gefahren f�r das Kindeswohl best�nden, ist ihm zu erwidern, da� eine Wiederherstellung der Familienverh�ltnisse vor dem 3.10.1991 nach seinem eigenen Vorbringen nicht in Frage kommt. Schon im Rekurs hatte der Vater ausgef�hrt, da� sich nach der derzeitigen Aktenlage f�r das Kind nur die M�glichkeit biete, mit einem Elternteil dauernd zusammenzuleben; erfolge dieses Zusammenleben in den USA, so finde es in der Umgebung und in dem Personenkreis statt, in dem es seit seiner Geburt gelebt hat (S. 88 f). Damals meinte der Vater offenbar selbst - im Sinne seines Antrages -, da� das Kind ihm zur�ckgestellt werde. Da� dies aber f�r das Kind sch�dlich w�re, steht fest.

Eine R�ckkehr der Mutter mit dem Kind in den Haushalt des Vaters ist nach den Feststellungen nicht m�glich und wird auch nach den Ausf�hrungen des Revisionsrekurses - insbesondere im Hinblick auf den dort mitgeteilten Beschlu� des kalifornischen Gerichtes - vom Vater gar nicht mehr verlangt. Eine Herstellung des "status quo ante" kommt daher in diesem Fall nicht in Frage.

Ganz abgesehen davon aber, da� das �bereinkommen keine Rechtsgrundlage f�r einen Auftrag an die Mutter bildet , entgegen ihrer erkl�rten Absicht in die USA zur�ckzukehren (vgl 2 Ob 596/91), w�re auch eine solche R�ckkehr nach der Aktenlage mit schwerwiegenden Gefahren f�r den Minderj�hrigen verbunden. Eine R�ckkehr in die dem Kind vertraute Wohnung ist sowohl im Hinblick auf den Wohnungswechsel des Vaters als auch wegen der Anordnung des kalifornischen Gerichtes nicht m�glich. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte mu� angenommen werden, da� die Mutter in den USA neuerlich, um den Lebensunterhalt zu verdienen, einer Besch�ftigung nachgehen und deshalb das Kind zeitweise von Fremden betreuen lassen m��te. Im �brigen ginge durch eine solche �bersiedlung auch der Kontakt des Minderj�hrigen zu den Gro�eltern und der Mutter seiner Mutter verloren (vgl Gutachten S. 67). All dies w�re aber nach den Feststellungen dem Kindeswohl sehr abtr�glich.

Bei dieser Sachlage haben die Vorinstanzen mit Recht die R�ckgabe des Kindes abgelehnt.

Dem Revisionsrekurs mu�te mithin ein Erfolg versagt bleiben


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