http://www.incadat.com/ ref.: HC/E/AT 375 [05/02/1992; Oberster Gerichtshof (Austria); Superior Appellate Court] 2 Ob 596/91 OGH

Gesch�ftszahl

Ob596/91

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspr�sidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofr�te des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache betreffend die mj. Kinder P.T, geboren am *****, C.T, geboren am ***** und E. T, geboren am *****, infolge Revisionsrekurses des Vaters D.T., England, vertreten durch Dr. Helmut Heiger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschlu� des Landesgerichtes f�r ZRS Wien als Rekursgericht vom 5. November 1991, GZ 43 R 657/91-33, womit der Beschlu� des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 1. August 1991, GZ 9 P 189/90-22a, best�tigt wurde, folgenden Beschlu� gefa�t:

Begr�ndung:

Mit dem im J�nner 1991 beim Erstgericht eingelangten Antrag begehrte der in England lebende Vater der Kinder, gest�tzt auf das �bereinkommen �ber die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentf�hrung BGBl 1988/512, die R�ckf�hrung aller drei Kinder nach England. Er brachte vor, die Mutter habe sie entgegen einer Auflage in der Entscheidung vom 26. Februar 1988, mit der ihr das Sorgerecht einger�umt worden war, widerrechtlich von England nach �sterreich verbracht.

Die Mutter beantragte die Abweisung des Antrages.

Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters der Kinder ab. Es stellte - gerafft dargestellt - fest, da� die Ehe der Eltern der Kinder geschieden sei und das englische Pflegschaftsgericht das alleinige Sorgerecht bez�glich aller Kinder der Mutter �bertragen habe. Sowohl die Mutter, als auch die drei Kinder seien (nur) �sterreichische Staatsangeh�rige; der Vater sei britischer Staatsb�rger. Die Mutter lebe seit dem Jahr 1988 mit den Kindern in Wien. P. besuche das Gymnasium mit ausgezeichnetem Erfolg, C. und E. gingen in die 2. und 1. Klasse der Volksschule. C. leide seit einigen Jahren an Morbus perthes, sei Ende J�nner und im Februar 1991 in intensiver station�rer Behandlung gestanden und habe sich mehreren Operationen unterziehen m�ssen, bei welchen eine Entfernung eines Teiles des Oberschenkelknochens zur Heilung eines mi�gebildeten H�ftknochens erfolgte. Bei dieser Gelegenheit sei ihm auch ein Metallst�ck eingesetzt worden, das nach einem Jahr wieder entfernt werden m�sse, um das Wachstum nicht zu behindern. In weiterer Folge m�sse ihm allerdings wieder eine derartige Prothese eingesetzt werden. Die in Wien berufst�tige Mutter erachte die Vornahme dieser medizinischen Behandlung und den Schulbesuch der Kinder in �sterreich auch unter Bedachtnahme auf die �konomischen Gegebenheiten f�r g�nstiger als in England. Der Vater sei seiner Unterhaltsverpflichtung nur unzureichend nachgekommen. Seit sich die Mutter mit den Kindern in �sterreich aufhalte, leiste er keinerlei Unterhaltsbeitr�ge mehr. Der Vater habe sich schon w�hrend der Ehe, besonders aber seit der Geburt des Kindes E. �berhaupt nicht mehr um die Kinder und auch nicht um seine Frau gek�mmert. Auf Grund der genannten Entscheidung, mit der der Mutter das Sorgerecht �bertragen wurde, stehe ihm auch ein Besuchsrecht zu den Kindern zu. Dieses sei von ihm seit mindestens drei Jahren nicht mehr ausge�bt worden, weil sich die Kinder weigerten, ihn zu besuchen. Nach den Angaben des mj. P. seien die Kinder vom Vater geschlagen worden. P. weigere sich strikt, jemals wieder zu seinem Vater nach England zur�ckzukehren. Nach den Erhebungen des Jugendamtes k�nnten sich die j�ngeren Kinder kaum noch an den Vater erinnern.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, da� dem Vater zum Zeitpunkt des Verbringens der Kinder nach �sterreich im Jahre 1988 weder alleine noch gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht zugestanden sei, weshalb die Pr�missen des Artikel 3 des �bereinkommens nicht vorl�gen. Wohl habe sich die Mutter der Bestimmung des englischen Pflegschaftsgerichtes im Sorgerechtsbeschlu� widersetzt, wonach sie die Kinder vor Vollendung des 18. Lebensjahres nicht au�er Landes bringen d�rfe, eine derartige Bestimmung sei aber dem �sterreichischen Recht (� 146 b ABGB) wie auch der �sterreichischen Judikatur fremd. Der R�ckgabeantrag sei erst nach Ablauf eines Jahres gestellt worden, die Mutter und die Kinder hielten sich seit dem Jahre 1988 in Wien auf; die R�ckgabe sei daher auch deshalb nicht anzuordnen, weil sich die Kinder bereits in der neuen Umgebung eingelebt h�tten. Dar�ber hinaus sei der Hinderungsgrund des Artikel 13 gegeben, weil die Kinder durch eine R�ckstellung in eine unzumutbare Lage gebracht w�rden, indem sie gezwungen w�ren, im gemeinsamen Haushalt mit dem Vater zu leben, mit welchem sie seit 1986 keinerlei Kontakt mehr h�tten. Der Vater habe insbesondere durch die unzureichende Unterhaltsleistung bewiesen, da� es ihm an Verantwortungsbewu�tsein gegen�ber seiner Kinder mangle. Dar�ber hinaus sei noch im Sinne des Artikel 13 zweiter Absatz die Meinung des mj. P., da� er sich einer R�ckgabe widersetze, auf Grund seines Alters und seiner Reife beachtlich. Schlie�lich komme auch Artikel 20 des Abkommens zum Tragen; au�erdem sei gem�� � 146 b ABGB der erziehungsberechtigte Elternteil berechtigt, den Aufenthalt der Kinder zu bestimmen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Es sprach aus, da� der ordentliche Revisionsrekurs zul�ssig sei und f�hrte - zusammengefa�t dargestellt - aus:

Bei dem nach dem �bereinkommen �ber die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentf�hrung BGBl 1988/512 einzuhaltenden Verfahren handle es sich um ein Schnellverfahren, bei welchem die mit der Entf�hrung geschaffenen faktischen Gegebenheiten sofort r�ckg�ngig gemacht werden sollen. Die Jahresfrist des Art. 12 fu�e auf der Vorstellung, da� die R�ckforderung innerhalb eines Jahres nicht zum Nachteil des Kindes sei, weil es in dieser Zeit seiner fr�heren Umgebung noch nicht entw�hnt ist. Die R�ckf�hrung k�nne demnach im allgemeinen nicht als dem Wohle des Kindes zuwiderlaufend angesehen werden. Bei Antr�gen, die innerhalb der Jahresfrist des Art. 12 Abs 1 einlangten, sei der vom Entf�hrer zumeist gebrauchte Einwand, bei ihm sei das Kind besser aufgehoben, grunds�tzlich unzureichend und unbeachtlich. Im Gegensatz zur Auffassung des Erstgerichtes ergebe sich aus dem erhobenen Sachverhalt klar, da� die �bersiedlung der Kinder nach �sterreich erst im September 1990 erfolgte. Keine Zweifel habe aber das Rekursgericht an den Feststellungen des Erstgerichtes, die das Verh�ltnis des Vaters zu seinen Kindern im allgemeinen betreffen. Da� schon seit Jahren kein Besuchskontakt stattgefunden habe und der Sohn P. sich massiv weigere, den Vater zu sehen, stehe eindeutig fest. Auch der Bericht der Sozialarbeiterin stelle zweifelsfrei dar, da� zum gegenw�rtigen Zeitpunkt ein tragf�higer Besuchskontakt nicht herstellbar sei und man sich auf andere Weise "die T�re offen halten" solle. Da das englische Pflegschaftsgericht angeordnet habe, da� die Kinder ohne schriftliche Zustimmung nicht aus England und Wales verbracht werden d�rfen, sei beiden Eltern hinsichtlich des Aufenthaltes der Kinder ein gemeinsames Sorgerecht zugestanden worden, das zur Inanspruchnahme der im �bereinkommen �ber die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentf�hrung dem Sorgeberechtigten zustehenden Rechte legitimiere. Im vorliegenden Fall sei jedoch die R�ckf�hrung der Kinder dennoch zu versagen, weil damit dem Ziel des �bereinkommens, das ist der Schutz des Kindeswohles, durch sofortige R�ckf�hrung nicht bzw. Nur teilweise erreicht werden k�nne. Es bestehe kein Haushalt der Mutter in England mehr, die Unterbringung der Kinder dort bliebe g�nzlich offen; eine Aufnahme beim Vater w�re auf Grund der diesem gegen�ber bestehenden Aversion des �ltesten Kindes abzulehnen. Die Kinder m��ten daher in einem Heim untergebracht werden und verl�ren die einzige echte Bezugsperson zu ihnen, die Mutter. Eine Trennung der Geschwister w�re ebenfalls von �bel. Die R�ckf�hrung der Kinder w�rde demnach unter den gegebenen Umst�nden den tragenden Wertungen des Abkommens zuwiderlaufen, soda� die Entscheidung des Erstgerichtes zu best�tigen sei.

Der dagegen vom Vater erhobene Revisionsrekurs wirft zwei Rechtsfragen von entscheidender Bedeutung auf:

Rechtssatz

Nach Art 3 des �bereinkommens gilt als widerrechtliches Verbringen des Kindes, wenn dadurch das ausge�bte Sorgerecht oder das Sorgerecht, das ausge�bt worden w�re, wenn das Verbringen nicht stattgefunden h�tte, verletzt wird. Nach Art. 5 umfa�t das Sorgerecht die Sorge f�r die Person des Kindes und insbesondere das Recht, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen. Zutreffend vertritt das Rekursgericht die Auffassung, da� die Frage, wem das Sorgerecht �ber die Kinder zusteht, nach englischen Rechtsgrunds�tzen zu beurteilen ist, weil Art 3 lit a des �bereinkommens auf das Recht des Staates verweist, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen seinen gew�hnlichen Aufenthalt hatte (JBl 1991, 389). Dabei handelt es sich um eine Gesamtverweisung, die auch die Kollisionsnormen des Aufenthaltsstaates einschlie�t (EB 485 BlgNR 17. GP 31; EB 49); dieser nimmt die Berechtigung zur Sorgerechtsentscheidung dann in Anspruch, wenn entweder das Kind seinen gew�hnlichen Aufenthalt in England hat oder in England anwesend ist (Bergmann-Ferid, Internationales Kindschaftsrecht, L�nderabschnitt Gro�britannien, Seite 31). Demgem�� hat das zust�ndige englische Gericht der Mutter zwar das Sorgerecht, jedoch unter der vom Vater wahrzunehmenden Auflage erteilt, da� die Kinder ohne schriftliche Genehmigung des Vaters bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres England und Wales nicht verlassen d�rfen. Damit wurde aber f�r den Bereich der staatsvertraglichen Zust�ndigkeit klargestellt, da� das Sorgerecht des Art 5, das - wie oben ausgef�hrt wurde - insbesondere auch das Recht beinhaltet, "den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen", insoweit zwischen Vater und Mutter geteilt war, soda� alle Ma�nahmen der Mutter, die dem zuwiderliefen, unter dem Aspekt einer widerrechtlichen Entf�hrung im Sinne des genannten �bereinkommens zu beurteilen sind. Die Dringlichkeit der durch das �bereinkommen geregelten Materie rechtfertigt sogar seine Anwendung vor einer Sorgerechtsentscheidung (JBl 1991, 389), sie ist umso gewichtiger, wenn das zust�ndige Gericht bereits ausdr�cklich ausgesprochen hat, da� der Mutter ohne Zustimmung des Vaters die Verbringung der Kinder ins Ausland nicht gestattet sei.

Solche F�lle wurden auch in der Haager Konferenz f�r internationales Privatrecht im Preliminary Document Nr 2 vom September 1989 behandelt. So wurde bei einer in Australien erfolgten Kindesentf�hrung ausgesprochen, die Konvention "must be interpreted so that within its scope it is to be effective", was auf den bezogenen Fall bedeutete, da� dem Vater, der nur das Recht hatte, sicherzustellen, da� das Kind in Australien bleibt oder sich au�erhalb dieses Kontinentes nur mit seiner Zustimmung aufh�lt, das Recht zugestanden wurde, die R�ckf�hrung des Kindes auf der Grundlage des �bereinkommens zu beantragen. Es war ein besonderes Anliegen der Haager Konferenz, einem Verhalten zu begegnen, durch welches ein in den Vertragsstaaten bestehendes Sorgerecht durch die Faktizit�t der Ereignisse unterlaufen wird (vgl. EB 50), was aber auch der Fall ist, wenn der ausdr�cklichen Anordnung des zust�ndigen Gerichtes, das Kind nicht ohne Zustimmung des anderen Elternteiles ins Ausland zu verbringen, wie im vorliegenden Fall zuwidergehandelt wurde.

Gem�� Art 13 lit b des �bereinkommens ist das Gericht nicht verpflichtet, die R�ckgabe des Kindes - als selbstverst�ndlich nur vorl�ufige Ma�nahme (7 Ob 573/90) - anzuordnen, wenn die Person, die sich der R�ckgabe des Kindes widersetzt, nachweist, da� eine solche mit der schwerwiegenden Gefahr eines k�rperlichen oder seelischen Schadens f�r das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt. Bei diesem die R�ckf�hrung eines Kindes rechtfertigenden Ablehnungsgrund kommt es auf die Einhaltung der im � 12 Abs 1 und 2 enthaltenen Einjahresfrist nicht an.

Das Rekursgericht hat den Ablehnungsgrund im Ergebnis bejaht. Es hat insbesondere darauf verwiesen, da� eine Unterbringung der Kinder beim Vater infolge gro�er Aversion des �ltesten Kindes nicht m�glich ist. Es hat weiters dargelegt, da� die drei Kinder nicht ohne Schaden getrennt werden k�nnen und ausgef�hrt, da� v�llig offen blieb, wo und wie sie in England untergebracht werden sollen. Der Vater vermag in seinem Revisionsrekurs die vom Rekursgericht gegen eine R�ckf�hrung dargelegten Bedenken in keiner Hinsicht zu widerlegen. Er gibt zu, da� sein Verh�ltnis zum �ltestens Sohn problematisch ist und unterstellt in unzul�ssiger, das Kindeswohl keinesfalls ber�cksichtigenden optimistischen Weise, da� die Mutter im Falle der Erlassung eines R�ckgabeauftrages "schon nach England zur�ckkehren werde". Was dann zu geschehen h�tte, wenn er der Aversion des �ltesten Kindes nicht entsprechend begegnen k�nnte und die Mutter den Kindern nicht folgte, l��t der Rechtsmittelwerber offen. Er verweist lediglich darauf, da� dies eine Frage der weiteren Entwicklung sei. Unter diesen Umst�nden ist aber die vom Rechtsmittelwerber aufgezeigte Alternative, wie sich die Lebensverh�ltnisse der Kinder ohne die Mutter in England gestalten w�rden, f�r den Aufenthalt derselben nach einer angeordneten R�ckf�hrung so vage und unbefriedigend, da� das Rekursgericht mit Recht auf Grund der konkreten Umst�nde des Falles von der Anordnung einer R�ckf�hrung der drei Kinder nach England Abstand nahm.

Dem Revisionsrekurs war somit der Erfolg zu versagen.


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